Mit einem gemeinsamen Informationsabend in der Aachener Annakirche haben Amnesty International, evangelische und katholische Kirche, der Verein Aachener Friedenspreis und das paritätische Hilfswerk nach einer Antwort gesucht.
Seit Jahren bemühen sich die westlichen Großmächte mit militärischen Mitteln, wirtschaftlicher Unterstützung und politischer Einflussnahme um Stabilität und Sicherheit in dem vom Krieg gebeutelten Land. Wirklich erfolgreich war dies bislang noch nicht. Afghanistan ist immer noch weit davon entfernt, der Mehrzahl seiner Bewohner Frieden, Sicherheit und Perspektiven für ihr Leben zu bieten. Nach Einschätzung des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) bleibt die Sicherheitslage unvorhersehbar, und die Zivilisten tragen weiterhin die Hauptlast des Konflikts.
Drei Referenten, die in Deutschland lebende Afghanin Sohaila Alekozai, ARD-Korrespondent Martin Gerner und Wolfgang Grenz von Amnesty International, gaben Einblicke in die Situation der Menschen vor Ort, beleuchteten die rechtliche Situation für Flüchtlinge und die Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu Afghanistan und machten deutlich, warum es aus ihrer Sicht derzeit nicht vertretbar ist, Flüchtlinge nach Afghanistan zurückzuschicken.
Wenn Sohaila Alekozai von Afghanistan spricht, werden schnell sowohl ihre Liebe und tiefe Verbundenheit zu ihrem Heimatland und seinen Menschen deutlich als auch ihre Trauer, Wut und das Unverständnis, die sie angesichts der aktuellen Situation dort insbesondere für Frauen und Mädchen empfindet. „Die Grundlagen der Demokratie funktionieren nicht in Afghanistan. Das Land ist nicht in der Lage, die Menschenrechte, die in der neuen Verfassung stehen, umzusetzen. Die Demokratie wird missbraucht, um das Gesicht nicht zu verlieren.“
Der Frauenanteil in Parlament und Hohem Rat liege bei 28 Prozent, doch es sei schwer, Rechte für Frauen umzusetzen, vieles sei nur symbolisch. Zwangsheirat, Kinderehe, der Missbrauch von Frauen und Mädchen oder dass Männer sie als Spieleinsatz verwendeten, seien immer noch Realität. „Der Gewaltanteil gegenüber Frauen, überwiegend aus dem familiären Umfeld, ist hoch. Die Zahl der Selbstverbrennungen ist gestiegen“, schildert sie. Auch im Bereich der Bildung seien Mädchen und Frauen immer noch benachteiligt, obwohl im Agrarland Afghanistan die Feld- und Gartenarbeit sowie die Weberei zu 50 bis 70 Prozent von Frauen übernommen werde – neben der Familien- und Hausarbeit.
Es sei sicherlich kein Zufall, dass der Abend in einer Kirche stattfinde, stellt der Journalist zu Beginn seiner Ausführungen fest. Symbolisch sei der Ort auf jeden Fall, da Menschenrechte und die Belange von Flüchtlingen an anderen Orten oft nicht den Wert hätten, den sie haben sollten. „Nicht nur das Thema und die Veranstaltung sind hier gut aufgehoben, auch die Menschen.“ Mit Blick auf die Zwangsabschiebungen der letzten Wochen zurück nach Afghanistan stellt er fest, dass davon fast durchweg Menschen betroffen seien, die bereits seit vier, fünf Jahren in Deutschland gelebt hätten, die über gute Sprachkenntnisse verfügten und die zertifiziert bekommen hätten, wie wichtig sie in und für die Firmen und Orte seien. „Das geht gegen alles, wofür Integration steht“, erklärt er, was das Publikum mit Beifall quittiert.
Aus seiner Sicht sei die Sicherheit vor Ort in Afghanistan nicht gegeben. Nach zwei Wochen, wenn das deutsche Monitoring ende, verliere sich die Spur der meisten Rückkehrer. Die Entführungsquote in Städten wie Herat sei hoch. Wer aus Deutschland zurückkomme, stehe unter dem Ruf, Geld zu haben, ebenso wie unter dem Verdacht, seinen Glauben verraten zu haben. Die Macht der Gerüchte, die schwer zu stoppen sei, mache Rückkehrer so zu potenziellen Opfern. Auch in ihren Familien begegne man ihnen häufig mit Misstrauen, was die Ängste und den psychologischen Druck, den sie durch die Abschiebesituation empfänden, noch verstärke. Auch seien die Gründe für eine Flucht noch nicht ausgeräumt: Wirtschaftskrise, Depression, der psychologisch schlecht vermittelte Abzug der westlichen Streitkräfte, ein großer Durst nach Bildung unter jungen Afghanen. „Der Exodus junger Afghanen wird andauern, wenn es uns nicht gelingt, die Situation vor Ort zu verbessern und der Arm-Reich-Schere besser zu begegnen.“
„Die vielgelobte Willkommenskultur in Deutschland geht zu Lasten anderer Gruppen von Flüchtlingen, beispielsweise aus Afghanistan“, so die These von Asylexperte Grenz. Im Vergleich zu anderen Ländern sei die Situation sicherlich gut, nicht jedoch mit Blick auf die Menschenrechte. Hier seien seit 2015 viele Standards wieder zurückgedreht worden. Aus jetziger Sicht gebe es keine sicheren Gebiete in Afghanistan. Auch die deutsche Politik und die Bundesregierung könnten nicht konkret benennen, in welchen Teilen des Landes Menschen sicher seien. Laut den Richtlinien des UNHCR gebe es nur eine einzige Personengruppe, die es nach ihrer Rückkehr schaffen könnte: junge, alleinstehende Männer, die ohne Familienunterstützung auskommen könnten. Wichtig sei immer, die Einzelschicksale zu prüfen, doch es gebe auch die pauschale Einschätzung der Sicherheitslage. Amnesty habe auf internationaler Basis überlegt und komme derzeit zu der Einschätzung, dass Afghanistan zu den Ländern gehört, in die nicht abgeschoben werden dürfe.
Wolfgang Grenz stellte auch die freiwillige Rückkehr in das Land in Frage: „Wie freiwillig ist freiwillig, wenn Menschen befürchten, sonst zwangsabgeschoben zu werden?“ Wichtig für afghanische Flüchtlinge in Deutschland sei derzeit, dass sie bei der Prüfung ihrer Situation durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Verwaltungsgerichte Unterstützung von engagierten Menschen vor Ort erhielten, die sie begleiteten.